Eine Insel mitten in Berlin: Moabit

Eine Insel mitten in Berlin: Moabit

In meinem ersten Beitrag auf dieser Webseite nahm ich euch mit auf einen Spaziergang durch Spandau. Ich habe mir vorgemommen, euch nach und nach die Stadtviertel von Berlin zu zeigen. Es hat ein bisschen gedauert, aber heute kommt nun Teil 2.

Moabit – da fällt den meisten die Justizvollzugsanstalt ein. Außerdem: Arbeiterviertel, Armut, Ausländer. Stimmt alles, aber trotzdem ist es ein sehr interessantes und lebenswertes Viertel, das manche Überraschung birgt.

Die erste ist, dass der Berliner Hauptbahnhof in Moabit liegt.

Der Berliner Hauptbahnhof von aussen fotografiert. Die Aufnahme wurde vom Europaplatz aus gemacht. Das Gebäude besteht aus Stahl und Glas, in dem sich gegenüberliegende Gebäude spiegeln. Vorne ist eine Bahnhofsuhr, die die Uhrzeit 22 Minuten nach 11 zeigt.
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Und wenn man diesen durch den den Ausgang „Europaplatz“ verlässt, stößt man fast sofort auf die Vergangenheit.

Die Mauer des Gedenkparks von aussen. Davor stehen Bäume voller gelb-leuchtender Blätter, und der Boden ist ebenfalls mit gelben Blättern bedeckt. Links hinten der Eingang aus Beton. Er besteht aus einem nach aussen ragenden kurzen Tunnel und eine quer dazu stehende grosse Platte.

Geschichtspark Ehemaliges Zellengefängnis Moabit

Praktisch schräg gegenüber vom heutigen Hauptbahnhof stand von 1849 – 1958 ein Gefängnis, dessen Zellenbauten nach dem Vorbild der Strafanstalt Pentonville in London sternenförmig vom Verwaltungstrakt ausgingen. Statt der bis dahin üblichen Gemeinschaftszellen bekamen die Strafgefangenen Einzelzellen. Das klingt human, war aber das genaue Gegenteil davon. Verbunden war dies nämlich, um die Gefangenen „zu läutern“ mit vollständiger Isolation. Wenn sie ihre Zelle verließen, mussten sie eine Mütze mit einem heruntergeklappten Schirm tragen, der ihr Gesicht verdeckte. In der Kirche und in der Schule saßen sie in senkrechten Holzkisten, die ihnen nur den Blick nach vorn erlaubten. Gespräche zwischen den Häftlingen waren verboten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese strenge Isolation langsam gelockert.

Planungen für eine Schnellstraße führten 1958 zum Abriß des Gefängnisses. Erhalten blieben nur die Mauer und sechs Wohnhäuser der Vollzugsbeamten. Das Gelände wurde in den Folgejahren für Schrotthandel, als Lagerfläche und von Autowerkstätten genutzt.

Erst 1990 machte man sich die historische Bedeutung dieses Ortes bewußt und es entstand die Idee eines Geschichtsparkes, der 2006 eröffnet wurde.

Dieser versucht, die frühere Gestaltung des Gefängnisses und die Isolation der Gefangenen für die Besucherinnen und Besucher etwas nachvollziehbar zu machen. Zum Beispiel durch eine grob nachgebildete Gefängiszelle. Wenn man diese betritt, ist zwar der Eindruck der Isolation, da sie nach oben offen ist, nicht recht nachzuempfinden. Aber man bekommt dafür die „Moabiter Sonette“ vorgelesen.

Moabiter Sonette

Einer der Gefangenen war der Geograph Albrecht Haushofer (geboren am 7. Januar 2003), der durch seinen Vater engen Kontakt zu Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess hatte. Dieser ermöglichte ihm, obwohl er „Vierteljude“ war, ab 1933 an der Hochschule für Politik zu lehren. Haushofer schloss sich aber nach Beginn des Weltkrieges dem Widerstand an und war an der Verschwörung zum Attentat auf Hilter am 20. Juli 1944 beteiligt.

Ende 1944 wurde er von der Gestapo gefasst und im Zellengefängnis Moabit inhaftiert. In der Nacht vom 22. auf den 23. April 1945 wurde er zusammen mit anderen Verschwörern durch Genickschuss ermordet. Nach seinem Tod fand man eine Sammlung von 80 Gedichten, die er während der Haftzeit geschrieben hatte und die als „Moabiter Sonette“ veröffentlicht wurden.

Ein Teil seines Gedichtes „In Fesseln“ ist an der ehemaligen Gefängnismauer dargestellt.

Trotz der dunklen Geschichte des Ortes soll der Park auch zur Erholung dienen. Und er ist wirklich ein Geheimtipp für diejenigen, die ganz in der Nähe des hektischen Hauptbahnhofes eine ruhige Oase suchen.

Spaziergang am Wasser

Die nächste Überraschung: Moabit ist auf allen Seiten von Wasser umgeben: Spree, Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal, Westhafenkanal, Charlottenburger Verbindungskanal. 25 oder 26 (dazu gibt es im Internet unterschiedliche Angaben) verbinden sie mit dem „Festland“. Wer ganz herumläuft, kann sie ja mal nachzählen.

Blick von unten auf das Ende einer rötlichen Brücke mit einem geflügelten Löwen auf der Aussenseite. Dahinter der Cube Berlin. Daneben ein Turm mit der Aufschrift DB, und im Hintergrund der Hauptbahnhof.

Mein Spaziergang begann an der Moltkebrücke in der Nähe des Hauptbahnhofes, und dann immer am Ufer entlang.

Sehr entspannend – und als Zugabe kommt man noch an vielen Sehenswürdigkeiten Berlins vorbei:

Der Weg am Ufer ist übrigens nach dem jüdischen Arzt und Sexualwissenschaftler Dr. Magnus Hirschfeld (1868 – 1935) benannt. Er war ein wichtiger Vertreter der ersten homosexuellen Emanzipationsbewegung, der 2017 hier ein Denkmal errichtet wurde.

Auf einer gepflasterten Flächse am Rande eines Flusses stehen mehrere große Blumenstängel. Die Stängel sind grün. die Blüten haben unterschiedliche Farben und sind in unterschiedliche Richtungen gebogen.
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Moabiter Brücke und Spree-Bogen

Die 1894 entstandene Steinbrücke war auch als „Bärenbrücke“ bekannt, da an ihren Brückenköpfen vier große Bärenskulpturen aufgestellt waren. Die Brücke wurde im 2. Weltkrieg weitgehend zerstört, und die Bärenfiguren wurden eingeschmolzen. Die Brücke wurde zwischen 1948 und 1948 wieder aufgebaut, allerdings ohne Bären. Auf Druck der Berliner Bevölkerung wurde ein Künstlerwettbewerb ausgeschrieben, den der Künstler Günter Anlauf gewann. Die neuen Bären wurden 1980 aufgestellt. Sie sind zwar nicht so originalgetreu wie die ursprünglichen Bären, aber ich finde sie „knuffig“.

Der Moabiter Spreebogen blickt trotz seiner heutigen modernen Ausgestaltung auch auf eine lange Berliner Geschichte zurück. Es war der Standort der bekannten Meierei Bolle, die von 1879 – 1969 dort Milch und Milchprodukte herstellte und auslieferte, anfangs mit Pferdegespannen durch Jungen als Kutscher und „Milchmädchen“ als Verkäuferin.

Erworben wurde die Firma durch den Unternehmer Ernst Freiberger. Ab 1994 gestaltete er das Gelände zum Spree-Bogen, einem Büro- und Gewerbepark um.

Straße der Erinnerung

1994 wurde auch die Ernst-Freiberger-Stiftung gegründet, die sich sozial, kulturell und gesellschaftlich engagiert. Sie betreibt zum Beispiel das Projekt „Windschatten“, das Familien mit kranken Elternteilen unterstützt.

Und die Stiftung schuf am Spree-Bogen die „Straße der Erinnerung“, mit der Menschen geehrt werden sollen, die sich (laut Webseite der Stiftung) „durch herausragende wissenschaftliche Leistungen, besondere Beiträge zur künstlerischen Kultur Deutschlands oder durch mutiges Eintreten für Freiheit und Menschenrechte hervorgetan haben“. Das sind neun Männer: Helmut Kohl, Thomas Mann, Konrad Zuse, Albert Einstein, Ludwig Erhard, Walter Rathenau, Ludwig Mies van der Rohe, Georg Elser, und auch der uns ja schon bekannte Albrecht Haushofer.

Es finden sich dort auch zwei Frauen: Käthe Kollwitz und Edith Stein.

Wer nicht mit jedem Namen etwas anfangen kann, findet hier weitere Informationen:

Erinnert wird dort auch an die deutsche Wiedervereinigung, zum einen mit Teilen der Berliner Mauer, zum anderen mit dem Denkmal „Wir sind das Volk“ (geschaffen 2009 von dem Künstler Rolf Biebl).

Arminiusmarkthalle

Die Markthalle an der Arminiusstraße wurde 1891 eröffnet. Im 2. Weltkrieg weitgehend zerstört, in den 50er Jahren wiederaufgebaut und in den 90er Jahren entsprechend des ursprünglichen Aussehens umfassend restauriert, ist sie heute ein echter Geheimtipp. Viele Fenster und die Dachkonstruktion mit Bögen aus Gußeisen machen sie hell und freundlich. Es gibt auch noch Marktstände, aber mittlerweile vor allem ein vielfältiges gastronomisches Angebot (ich war „zufällig“ um die Mittagszeit da und habe sehr lecker vietnamesisch gegessen…), einen Kreativmarkt und Dienstleistungsangebote.

Leben und wohnen in Moabit

In Stichworten: viele Menschen mit Migrationshintergrund; viele Kinder; Parkanlagen; viele Spielplätze; viel Grün; schön restaurierte Altbauten (vor allem rund um die Wiclefstraße); Multi-Kulti, auch was Einkaufen und Essen betrifft; ruhig.

Eine Straße mit Auto und Radspuren. Zwischen den Autospuren ein Grünstreifen, auf dem einige Bäume stehen. Auch auf den Gehwegen Bäume. Auf der Straße fahren Autos, auf den Gehwegen laufen Fußgänger. Rechts eine Bushaltestelle. Auf beiden Seiten durchgehende mehrstöckige Mietshäuser, die alle unterschedlich gestaltet sind. Unten sind Läden und Imbisse.
Turmstraße
Eine mit Autos befahrene Straße. Auf der anderen Straßenseite neben einem mehrstöckigen Backsteingebäude eine Backsteinkirche. Sie hat einen schmalen Eingangsbereich und daneben einen hoch aufragenden viereckigen Kirchturm.
Eine Parkanlage mit buntgefärbten Bäumen. Auf dem Boden Herbstlaub. Ein breiter Gehweg läuft geradeaus zu einem quer verlaufenden Weg und drei aufrecht stehenden Steinplatten, die mit Graffiti bemalt sind. An den Rändern der Wege Bänke.
Ein Strauch mit grünen Blättern und kleinen roten Früchten. Darin hängt ein in Plastik eingeschweißtes Blatt Papier mit dem Text: Liebe Nachbarn, super, eure Spendengelder haben es ermöglicht, dass wir dieses Beet nun neu bepflanzen konnten. Wir bedanken uns ganz herzlich bei euch, dass ihr die neuen Pflanzen schützt und uns so bei der Pflege und dem Erhalt dieses Beeetes helft. Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten. Das Team der Waldstraßen-Initiative. Auf dem Zettel snd ausserdem drei Fotos. Oben links eine Spendendose mit Münzen daneben. Unten ein Bild eines Hundes mit einem Schild im Maul, auf dem steht: Nimm ein Sackerl für mein Gackerl. Von dort führt ein Pfeil zum dritten Bild, auf dem ein oranger Hundekotbehälter abgebildet ist. Er trägt die Aufschrift "Häufchenhelfer".

Friedensstatue

An der Ecke Bremer Straße/Birkenstraße findet man diese interessante Statue:

Sie soll erinnern an die Frauen und Mädchen aus dem asiatischen Raum, die im 2. Weltkrieg verschleppt und zwangspostituiert wurden. Als „Trostfrauen“ für japanische Offiziere und Soldaten erlitten sie sexuelle Gewalt und Massenvergewaltigungen.

Nach Kriegsende wurde dies weitgehend totgeschwiegen. Erst als 1991 ein Opfer im südkoreanischen Fernsehen ihr furchtbares Schicksal schilderte, gelangte das Thema in das Bewussstsein der (medialen) Öffentlichkeit, und es trauten sich weitere frühere „Trostfrauen“, darüber zu sprechen.

Japan hat für dieses Kriegsverbrechen nie die Verantwortung übernommen und sich bei den Überlebenden weder entschuldigt, noch ihnen eine Entschädigung gezahlt.

Im September 2020 wurde durch den Korea-Verband die Friedensstatue in Berlin aufgestellt, nicht nur als Mahnmal für die früheren „Trostfrauen“, sondern auch um auf sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen insgesamt aufmerksam zu machen. Nachdem die japanische gegenüber der deutschen Regierung die Entfernung gefordert hatte, widerrief das zuständige Bezirksamt die Genehmigung. Nach Protesten von Bürgerinnen und Bürgern durfte die Statue dann zunächst bleiben. Ihr dauerhafter Erhalt ist aber noch nicht gesichert.

Mehr zum Thema „Trostfrauen“ und „Friedensstatue“ findet ihr hier:

Deportationsmahnmal Putlitzbrücke

Auch die dunkle deutsche Geschichte wird in Moabit deutlich. Vom dortigen Güterbahnhof wurden über 30.000 Jüdinnen und Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Auf der Putlitzbrücke, die die Bahngleise überspannt, wurde 1987 ein Mahnmal errichtet.

Die Putlitzbrücke ist übrigens auch ein perfekter Ort zum „Trainspotting“.

Blick von oben auf acht parallel verlaufende Bahngleise. Zwischen dem ganz recchten Gleis, auf dem eine S-Bahn fährt, und dem Gleis daneben ist ein Teil eines überdachten Bahnsteigs zu sehen.

Bei meinem Besuch war allerdings weit und breit kein Zug zu sehen… nur eine S-Bahn, denn dort befindet sich der S- und U-Bahnhof Westhafen.

Westhafen

Der 1923 eröffnete Westhafen ist ein bedeutender Umschlag- und Lagerplatz für die Binnenschiffahrt. Er ist durch Kanäle, die Spree und die Havel mit Elbe und Oder verbunden. Von den ursprünglich drei Hafenbecken sind noch zwei vorhanden, und bis zum Containerterminal ist das Hafengelände zugänglich.

Spannend fand ich, den (automatisierten) Transport der Container zu beobachten.

„Menschenrechtsbahnhof“

Und ganz am Ende gab es dann noch eine Überraschung. Im U-Bahnhof Westhafen fielen mir auf den hellen Fliesen deutsche und französische Inschriften auf. Es handelt sich um Zitate von Heinrich Heine, der 1831 nach Paris übergesiedelt war.

Und auf den Wandfliesen an den Gleisen finden sich die Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Weiße Fliesen an einer Wand. Auf jeder ein schwarzer Großbuchstabe. Da keine Lücken zwischen den Buchstaben sind, sieht es auf den ersten Blick aus, wie die Rätsel, bei denen man in Buchstabenwirrwarr Wörter finden muss. Wenn mann die Buchstaben aber nach und nach liest und gedanklich die Lücken einfügt, erkennt man, dass es sich um sinnvollen Text handelt. In der oberen Hälfte steht in großer Schrift Westhafen. Darunter: Monsieur Heinrich Heine. Rechts daneben due schwarze Zeichnung eines Kopfes. Links gelbe Fliesen mit der großen Zahl 21, rechts 22.

Der Gestaltung liegt ein Projekt der französischen Künsterlin Francoise Schein zugrunde, mit dem weltweit in U-Bahnhöfen die Erklärung der Menschrechte visualisiert wird. Und zwar an Bahnhöfen, die gleichzeitig Erinnerungsorte für Menschenrechtsverletzungen sind, wie hier durch die Deportationen von Jüdinnen und Juden vom Bahnhof Moabit.

Siehe auch meine weiteren Berlin-Beiträge:

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