Buchtipp: Oliver Pötzsch „Das Buch des Totengräbers“

Buchtipp: Oliver Pötzsch „Das Buch des Totengräbers“

Eigentlich mag ich keine historischen Romane. „Eigentlich“ heißt aber: es gibt Ausnahmen. Dem „Buch des Totengräbers“ habe ich eine Chance gegeben, weil

  • ich eine gute Rezension darüber gelesen habe,
  • es sich um einen Krimi handelt, und ich gerne Krimis lese,
  • es im Wien des Jahres 1893 spielt, und ich im Dezember erstmals nach Wien fahre.

Und um mein Fazit vorwegzunehmen: mir hat das Buch sehr gut gefallen.

Die drei Hauptfiguren sind Leopold von Herzfeldt, der namensgebende Totengräber Augustin Rothmayer und Julia Wolf.

Leo von Herzfeldt kommt aus Graz und beginnt beim Wiener Sicherheitsbüro als Inspektor zu arbeiten. Dort eckt er ziemlich an, weil er nicht im Dialekt spricht und weil er moderne Ermittlungsmethoden anwenden will. Tatortfotografie, Spurensicherung und Tatortvermessung waren damals nämlich noch „Neuland“.

Unerwartete Unterstützung bekommt er dabei von Julia Wolf, die ein „Doppelleben“ führt. Nachts tritt sie als Sängerin auf. Tagsüber arbeitet sie, um Geld zu verdienen, als Telefonistin bei der Polizei.

Bei den Ermittlungen wegen mehrere Ritualmorde und des vermeintlichen Selbstmordes eines Halbbruders von Johann Strauß begegnet ihnen immer wieder der Totengräber. Dieser ist ein Eigenbrötler, der im langen, schwarzen Mantel und Schlapphut aussieht „wie der leibhaftige Tod“. Doch im Laufe des Romans entpuppt sich Rothmayer als vielschichtige Person mit interessanten Talenten.

Besonders gut gefallen hat mir, wie atmosphärisch Pötzsch das damalige Wien beschreibt: der Prater, Wohnungssituation, Pferdebahn, Nachtleben, Antisemitismus, Blumenmädchen, Prostitution, Geldsorgen, Fabriken und Paläste. Und ebenso wie bei der Kriminaltechnik beschreibt er den Umbruch in die Moderne: Telefon, Fahrrad, Automobil, Elektrizität, Fotografie – alles neu für die damaligen Menschen.

Im Mittelpunkt steht der Wiener Zentralfriedhof, damals noch „eine riesige Ödnis weit vor den Toren der Stadt“ (so Oliver Pötzsch in seinem Nachwort). Ich bin gespannt, wie er heute aussieht.

Und man erfährt viel über das damalige Bestattungswesen. An dieser Stelle eine Warnung: Rothmayer schreibt an einem Almanach für Totengräber, und Auszüge daraus mehreren Kapiteln vorangestellt. Dabei geht es um Verwesung und andere eklige Dinge. Wer sich leicht ekelt oder empfindsam ist, sollte diese Teile einfach überspringen. Für die Handlung sind sie nicht wesentlich.

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