Buchtipp: Edgar Selge „Hast du uns endlich gefunden“

Buchtipp: Edgar Selge „Hast du uns endlich gefunden“

Auf Facebook hatte ich ein paar Fans wegen meiner unregelmäßigen Hinweise auf (aus meiner Sicht) lesenswerte Bücher. Das will ich hier gern fortsetzen, und deshalb gibt es hier den ersten Lesetipp.

Ein Buchcover. Es zeigt ein leicht nach außen geöffnetes weißes Fenster, im oberen Teil mit eines dünnen weißen Vorhang. Der Text auf dem Cover lautet: Edgar Selge. Hast du uns endlich gefunden. Rowohlt. Spiegel Bestseller.

Edgar Selge ist ein bekannter deutscher Theater- und Filmschauspieler. Unter anderem spielte er im „Polizeiruf 110“ von 1998 bis 2009 den einarmigen Kommissar Jürgen Tauber.

2001, mit über 70 Jahren, veröffentlichte er sein erstes Buch: „Hast du uns endlich gefunden“. Er blickt darin zurück auf seine Kindheit Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre. In dieser Zeit lebte er mit seinen Eltern und Brüdern im westfälischen Herford, wo sein Vater Gefängnisdirektor war.

Ich hatte, ohne mich genauer damit zu beschäftigen, in der Presse und im Internet nur lobende Worte über Selges Buch wahrgenommen. Entsprechend hoch waren meine Erwartungen, und sie wurden nicht enttäuscht.

Die Erzählung ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern Selge greift in jedem Kapitel einzelne Ereignisse heraus. Dabei springt er durch Raum und Zeit: selbst als Kind Erlebtes… Schilderungen aus der Vergangenheit der Eltern weit vor seiner Geburt… wie er jetzt, 60 Jahre später, reflektierend zurückblickt… sein Verhältnis zu den Eltern und Brüdern als Erwachsener… Das sind alles Puzzlestücke, die sich nach und nach zu einem Gesamtbild zusammenfügen.

Und das Bild ist nicht unbedingt schön: ein Vater, der Musik liebt und seine Söhne schlägt; auch sexuell übergriffig wird. Die Auseinandersetzung der jungen Generation mit dem Nationalsozialismus und die Unfähigkeit der Eltern, die Werte, an die sie geglaubt haben, in Frage zu stellen; auch nach wie vor vorhandener Antisemitismus.

Was mir besonders gefallen hat, ist die Erzählweise. Edgar Selge beschreibt aus der Sicht des damaligen Kindes. Und zwar so, wie Kinder wahrnehmen: beobachtend, nüchtern, nicht hinterfragend. Gleichzeitig schreibt er als gereifter Mann, der in der Lage ist, sich mit der deutschen Geschichte und der Nachkriegsgesellschaft persönlich auseinanderzusetzen. Und bis zu einem gewissen Maße auch mit den Handlungen und Einstellungen seiner Eltern. Vieles bleibt aber offen, manches wird nur angedeutet… und gibt damit Raum für eigene Gedanken über die eigene (Familien-)Geschichte…

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