Polen: Warschau

Polen: Warschau

Wenn man nach dem beschaulichen Breslau und dem historischen Krakau aus dem Warschauer Hauptbahnhof kommt, ist das zunächst ein Kulturschock. Eine so moderne Stadt mit vielen Wolkenkratzern hatte ich nicht erwartet.

Tatsächlich hat sich Warschau in den letzten Jahrzehnten zu einer boomenden Metropole entwickelt, in der sich viele ausländische Unternehmen angesiedelt haben.

Der Kulturpalast

Inmitten der modernen Gebäude fällt eines besonders ins Auge.

Der Kulturpalast wurde zwischen 1952 und 1955 auf Anordnung von Stalin als „Geschenk an das polnische Volk“ errichtet. Die Ähnlichkeit mit dem Empire State Building ist nicht zufällig; der russische Architekt Lew Rudnew hat sich vom New Yorker Gebäude inspirieren lassen.

Der Bau mit seinen 3288 Räumen beherbergt heute unter anderem ein Kino, Museen, einen Kongreßsaal und Theater.

Und man kann mit dem Fahrstuhl in 25 Sekunden in den 30. Stock fahren. Dort befindet sich in 114 m Höhe eine Aussichtsplattform mit einer grandiosen Aussicht.

Auch wenn man den Eindruck hat, dass die Wolkenkratzer den Kulturpalast überragen: bis Herbst 2022 blieb er mit 230 m Dachhöhe (237 m mit der Turmspitze) das höchste Gebäude in Warschau.

Mittlerweile steht direkt neben dem Hauptbahnhof jedoch der Varso Tower, der 230 m hoch ist, und mit der Turmspitze sogar 310 m.

Dort soll übrigens 2024 eine Aussichtsterrasse in 230 m Höhe entstehen. Ein Grund für mich (neben vielen anderen), Warschau noch einmal zu besuchen.

Altstadt

Neben moderner Architektur hat Warschau auch eine schöne Altstadt, die ebenso wie der Großteil der Stadt im 2. Weltkrieg vollständig zerstört wurde. Nach dem Krieg begann jedoch ein umfangreicher Wiederaufbau, so dass die Altstadt heute nicht nur UNESCO-Weltkulturerbe, sondern auch ein Touristenmagnet ist. Auf meinen Fotos ist es nur deshalb so leer, weil es etwas regnerisch war und ich (wegen für den Nachmittag angesagter heftiger Gewitterschauer) sehr früh unterwegs war.

In der Altstadt befindet sch auch das Königsschloß, das von 1600 bis 1795 die Regierungsresidenz der Könige von Polen und Sitz des Parlaments war. Nach der völligen Zerstörung 1944 wurde es von 1971 bis 1984 rekonstruiert.

Königsweg

Vom Königsschloß bis zum Schloß Wilanow verläuft eine etwa 10 km lange Prachtstraße, der sogenannte Königsweg. Das Schloß Wilanow, das häufig als „polnisches Versailles“ bezeichnet wird, ist sicherlich sehenswert. Ich habe es mir aber für einen späteren Besuch aufgehoben und bin (bei zunehmendem Regen…) nur einen Teil des Königswegs entlang spaziert.

Die 22 m hohe Sigismundsäule auf dem Schlossplatz ist eine der Wahrzeichen von Warschau. Sie wurde zu Ehren des Königs Sigismund III. errichtet, der 1611 Warschau zur Hauptstadt machte.

Neben vielen prächtigen Gebäuden, Kirchen und Denkmälern…

…sieht man am Königsweg auch den Präsidentenpalast. Davor befindet sich eine Gedenkstätte zur Erinnerung an den Flugzeugabsturz 2010 in Smolensk, bei dem neben dem Staatspräsidenten Lech Kaczynski und seiner Frau zahlreiche weitere polnische Politiker und Repräsentanten ums Leben kamen.

Außerdem liegt etwas zurückgesetzt die Warschauer Universität.

Sie ist mit knapp 50.000 Studierenden die größte Hochschule Polens. Wegen der Semesterferien war es dort jedoch sehr ruhig. Nur einen Studenten konnte ich entdecken…

Neustadt

Warschau hat nicht nur eine Altstadt, sondern auch eine Neustadt… wobei „neu“ relativ ist. Zum einen wurde natürlich auch sie nach dem 2. Weltkrieg wiederaufgebaut. Vor allem aber entstand sie ursprünglich bereits Ende des 14. Jahrhunderts. Der Marktplatz der Altstadt stammt dagegen aus dem 13. Jahrhundert.

Platz der Ghettohelden

Im 1940 errichteten Ghetto wurden nicht nur Jüdinnen und Juden aus Warschau untergebracht, sondern auch aus dem deutschen Reichsgebiet und aus weiteren besetzten Ländern. Etwa eine halbe Million Jüdinnen und Juden mussten auf engstem Raum und unter unmenschlichen Bedingungen leben… oder starben an Seuchen, Hunger oder brutaler Mißhandlung…

1942 begannen die deutschen Besatzer mit der vollständigen Räumung des Warschauer Ghettos. Der Großteil der Jüdinnen und Juden wurde in Vernichtungslager, vor allem nach Treblinka, deportiert und dort ermordet.

1943 gab es ein letztes Aufbegehren der im Ghetto noch lebenden Menschen, unterstützt von mehreren jüdischen Widerstandsgruppen. Als die Deutschen am 19. April 1943 versuchten, das Ghetto weiter zu räumen, wurden sie beschossen und mussten sich zurückziehen. Die Jüdinnen und Juden wussten, dass sie letztendlich keine Chance hatten, aber es gelang ihnen, mehrere Wochen den Widerstand aufrechtzuerhalten und dadurch Menschen zur Flucht zu verhelfen. Erst am 16. Mai 1945 erklärte der deutsche Befehshaber den Ghettoaufstand als endgültig niedergeschlagen. Als Zeichen dafür ließ er die Große Synagoge sprengen.

Zum Gedenken an den Warschauer Ghettoaufstand wurde 1948 ein Ehrenmal eingeweiht.

Seit 2014 befindet sich dort auch das Museum der Geschichte der polnischen Juden. Wer jedoch (wie ich) keine Zeit für einen Museumsbesuch hat, erfährt am Ehrenmal nichts über die Geschichte und die Hintergründe. Anders als in Krakau gibt es keine Schautafeln oder ähnliches. Im Nachhinein habe ich daher etwas recherchiert und diesen sehr plastischen Text gefunden:

https://www.geo.de/magazine/geo-epoche/5301-rtkl-aufstand-der-todgeweihten

Ein bisschen entfernt vom Ehrenmal wird an den berühmten Kniefall von Warschau 1970 erinnert: der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Willy Brandt legte einen Kranz vor dem Denkmal nieder und fiel dann auf die Knie.

In seinen „Erinnerungen“ (1989) schrieb Willy Brandt zu dieser ungeplanten und bewegenden Geste: „Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt“.

Denkmal des Warschauer Aufstands

Nicht zu verwechseln ist der Ghettoaufstand mit dem Warschauer Aufstand 1944.

Vor dem Hintergrund der näherrückenden sowjetischen Armee griff am 1. August 1944 die Polnische Heimatarmee die deutschen Besatzer in Warschau an. Zahlenmäßig waren sie den deutschen Truppen überlegen, aber die Polen waren kaum bewaffnet und hatten weder Panzer noch anderes Militärgerät. Nach 63 Tagen, am 2. Oktober 1944, musste die polnische Armee kapitulieren, und Warschau wurde von den deutschen Besatzern fast vollständig zerstört.

Im kommunistischen Nachkriegspolen durfte auf Druck der sowjetischen Führung des Warschauer Aufstandes (zumindest offiziell) nicht gedacht werden. Hintergrund war dabei wohl die, vorsichtig ausgedrückt, unklare Rolle der Sowjetarmee . Auch als die Rote Armee Warschau bis zum östlichen Weichselufer bereits erobert hatte, kam sie der Polnischen Heimatarmee in den westlichen Stadtteilen nicht zur Hilfe. Angeblich soll dies auf Anweisung Stalins erfolgt sein, der kein Interesse an einem starken Polen hatte.

Daher wurde erst 1989 auf dem Krasiński-Platz ein Denkmal errichtet, das an den Warschauer Aufstand erinnern soll. Dort befand sich der Eingang zu einem Abflusskanal befand, durch den Aufständische und Zivilbevölkerung fliehen konnten.

1999 wurde direkt daneben das Gebäude des Obersten Gerichts erbaut, das mit dem Denkmal eine gelungene Einheit bildet. Interessant auch die römischen Rechtssätze auf seinen Pfeilern und die Spiegelung des Krasinski-Palastes in seinen hohen Fenstern.

Der Stadtteil Praga

Der Stadtteil Praga befindet sich östlich der Weichsel, wo in den letzten Kriegsmonaten bereits die Sowjetarmee stand. Daher blieb er von Zerstörungen weitgehend verschont. Dadurch fand hier aber nach dem Krieg auch keine Erneuerung statt. Einerseits von Vorteil, denn so hat man auch heute noch ein authentisches Bild von damals. Nachteilig wirkte es sich andererseits aber auf die Stadtteilentwicklung aus: vom Arbeiterviertel zum sozialen Brennpunkt mit hoher Kriminalitätsrate.

Das ist heute aber nicht mehr so. Ich habe dort während meines Aufenthalts gewohnt und mich absolut sicher gefühlt.. Denn mittlerweile entwickelt sich Praga zum interessanten Szeneviertel mit Kunst und Kultur, und auch wenn der Großteil der Bauten noch alt und unsaniert ist, werden viele neu errichtet oder modernisiert. Man kann also von einem Stadtteil im Wandel sprechen (wobei ich hoffe, dass er nie ein gestyltes Hipster-Viertel wird, sondern seinen ganz besonderen Charme behält…)

Bei einem mehrstündigen Spaziergang habe ich sicherlich längst nicht alles gesehen, aber trotzdem viel Interessantes und Witziges entdeckt. Ich kann euch daher für einen Besuch Warschaus nur empfehlen: Nehmt euch neben den touristisch bekannten Zielen auch Zeit für den Geheimtipp Praga. Hier ein paar Impressionen:

Auf keinen Fall verpassen solltet ihr die Straße „Ultica Zabkowska“. Dort könnt ihr nicht nur besonders viel moderne Kunst entdecken…

…sondern ihr kommt auch direkt ehemaligen Wodkafabrik Koneser, heute ein Ort mit Wohnungen, Büros, Restaurants, Cafes, öffentlicher Ausstellungsfläche und Museen (darunter das Wodka-Museum als Relikt aus der Vergangenheit).

Siehe auch meine weiteren Polen-Beiträge:

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